Der Kassenzettel, die Trump-Ära und Erdnussbutter

In meinem Alltag in Deutschland gibt es einen sehr wichtigen Moment, worauf ich mich am Anfang meines Studiums in Stuttgart immer vorbereiten musste. Die Angst spüre ich immer noch im Bauch. „Beleg?“ fragt der Kassierer. Ein Beleg? Was soll ein Beleg sein, und brauche ich einen? Er meint natürlich einen Kassenzettel, aber ich hatte schon zehn andere Wörter dafür gehört und war 40 Mal verwirrt. Es sollte einfach sein: Man geht in den Supermarkt, man findet die Waren, die man braucht, und man bezahlt.

Vor meiner Reise hatte ich mir darum Sorgen gemacht, dass ich die Bürokratie in Deutschland nicht verstand und dass ich alle Kurse auf Deutsch machen würde. Ich stellte mir nicht vor, dass auch die Dinge, worüber ich normalerweise nicht nachdachte, auch schwierig sein könnten. In Deutschland an der Kasse zu stehen ist für mich wie die Teilnahme an den Olympischen Spielen. In einer Hand halte ich das Wechselgeld, während Münzen herunterfallen, in der anderen Hand halte ich eine Tasche halbvoll von Lebensmitteln. Vor mir liegt noch die Hälfte meiner Waren, und hinter mir stehen unendlich viele Kunden, die auch nur nach Hause wollen. Dann kommt diese Frage, die jedes Mal anders klingt. „Zettel?“ Überwältigt antworte ich „ja“ oder „nein“ und hoffe, dass es keine kompliziertere Frage war. Wenn ich heimgehe, frage ich mich, ob ich während der letzten Jahre Deutschunterrichts wirklich etwas gelernt hatte.

Im Nachhinein weiß ich, dass es total anders ist, Deutsch im „Deutsch als Fremdsprache“-Unterricht sprechen zu können als Deutsch im alltäglichen Leben. Ich brauchte aber ein paar Monate, um damit zurecht- zukommen. Manchmal bin ich noch verwirrt, und ich mache natürlich auch viele Fehler. Das ist aber Teil des Lernprozesses und des Lebens, und jetzt weiß ich, wenn ich „du“ sage, obwohl ich „Sie“ meine, dass sich die Welt weiterdreht. An solchen Situationen muss man sich als Ausländerin aber gewöhnen.

Ich bin aber auch nicht nur Ausländerin, sondern Amerikanerin, und ich wusste eigentlich nicht, was das bedeuten würde, bevor ich während der Trump-Epoche für eine Repräsentantin der USA gehalten wurde. Als Austauschstudentin lernt man viele unterschiedliche Leute von vielen unterschiedlichen Kulturen kennen. Begeistert und neugierig fragen alle als Erstes,

„Woher kommst du? Was machst du in Deutschland?“ und „Übrigens, wie heißt du?“ Sie wissen aber nicht, dass sie mit der schwierigsten Frage anfangen. Ich würde nicht sagen, dass ich mich für meine nationale Identität schäme, aber ich würde auch nicht sagen, dass es in jedem Moment einfach ist, auf meine Heimat stolz zu sein. Der amerikanische Präsident ist in letzter Zeit eine heiß umstrittene Figur in der Weltpolitik gewesen, und ich stellte mir vor, dass Menschen deshalb einige Annahmen über meine Heimat und über mich machen würden. Deswegen fange ich bei solchen Interaktionen oft automatisch damit an, zu erklären, dass ich nicht meine Heimat bin. Es ist nicht erstaunlich, dass viele dann sagen, dass ich offensichtlich nicht für alles verantwortlich bin, was die Vereinigten Staaten machen. Viele sagen auch, dass ich mich nicht dafür entschuldigen muss.

Ich kann nicht aufzählen, wie oft ich dieses Gespräch schon hatte, aber jedes Mal verlief es anders als vorher. Manchmal wird eine Angst vor der Zukunft der amerikanischen Politik betont, manchmal werden aber auch Ähnlichkeiten oder die Wichtigkeit der heutigen transatlantischen Beziehungen betont. Was ich davon gelernt habe, ist, dass man nicht vergessen darf, wie komplex die Welt ist. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die Summe aller ihrer guten und nicht so guten Aspekte genauso wie alle anderen Länder der Welt.

Die amerikanische Identität in Deutschland hat aber natürlich nicht nur mit der Politik zu tun. Es sind auch die Kleinigkeiten. In meinen ersten Wochen in Stuttgart sah ich ein Plakat, das spezifisch für mich gedruckt sein könnte: „American Brunch“ stand darauf. Mein Leben in Stuttgart und auch das deutsche Frühstück gefallen mir sehr, aber eine kleines Stückchen Amerika mit Pfannkuchen mitten im Schwabenland tut auch nicht weh. Und dann in November waren Plakate für „Black Price Day“ und „Black Shopping Day“ zu sehen. Auch wenn die Übersetzungen ein bisschen komisch klingen, ist die Mischung von Kulturen deutlich und immerhin auch schön.

Auch im Lebensmittelgeschäft konnte ich einfach sehen, woher manche Produkte kamen, oder zumindest für wen sie da sind. Chicken Nuggets und amerikanische Kekse gibt es, und vor allem Erdnussbutter, alles mit einer amerikanischen Fahne auf der Verpackung. In meinen Deutschkursen in den USA wurde auch gesagt, dass Erdnussbutter in Deutschland nicht so beliebt ist, und dass es irgend- wie als „typisch amerikanisch“ betrachtet wird. Im Laufe meines Studiums über Kultur bin ich den Begriff „typisch“ oft entweder im Sinne von „typisch amerikanisch“ oder „typisch deutsch“ begegnet, und es klingt meistens wie eine Vereinfachung. Das Konzept von Kultur ist aber zu kompliziert, um nicht vereinfacht dargestellt zu werden, und immerhin bin ich dankbar für Erdnussbutter als eine süßes und salziges Will- kommen in Deutschland.

Komischerweise würde ich nicht sagen, dass ich mich vorher als Amerikanerin wirklich betrachtet hatte. Ich wurde in den USA geboren und habe mein ganzes Leben dort verbracht. Ich kannte eigentlich nichts Anderes, und deshalb habe ich nie wirklich darüber nachgedacht. Alle waren Amerikaner und das war ich auch, aber wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich gesagt, dass ich deutsch, englisch, französisch, usw. bin – nach meiner Abstammung. Jetzt brauche ich nicht so viel Zeit, um meine nationale Identität zu erklären. Ich bin Amerikanerin. Und im Kontext der deutsch-amerikanischen Beziehung erlebe ich die Vorteile und Nachteile unserer komplizierten Geschichte. Einerseits fühle ich mich so, als ob ich mitten in der Kontroverse über den Präsidenten oder das amerikanische Militär in Deutschland und der Welt stünde. Andererseits habe ich wegen der Beziehung zwischen den USA und Deutschland die Gelegenheit, hier zu sein und die kulturellen Unterschiede zu lernen und zu genießen.